Novovolynsk, Ukraine

… back to the roots


Endlich war es soweit! Am 01.05.2021 war ich auf dem Weg in meine Heimat, Novovolynsk, Ukraine! Ein wenig Angst hatte ich schon gehabt. Derzeit ist alles mit einer Ungewissheit verbunden. Nichtsdestotrotz habe ich all meine Mut zusammen genommen und bin einfach hin. Komme, was wolle! Aber die Zeit ist gekommen…

Vor der Abreise musste man schon recht viel Zeit dafür aufwenden,  um alle Dokumente und Testergebnisse beisammen zu bekommen. Günstig ist es zudem auch nicht gerade. Ich hatte mir einen Zeitraum bereits vor einiger Zeit ausgesucht, hatte aber alles andere recht kurzfristig gebucht. Nur ein paar Tage vorher. Wer weiß, wie die Situation 24 Stunden später ausschauen würde. Knapp zehn Stunden vor dem Abflug hatte ich alles zusammen. Die Reise in die Heimat konnte ich antreten. Ein wenig Bammel hatte ich schon, da ich mich wusste, ob die Versicherung akzeptiert wird oder mein Testergebnis oder sonst noch was. Schließlich ging es in ein Territorium außerhalb der EU. Da spielt man nach seinen eigenen Regeln.

Eines hatte ich aber zu meinem Freund gesagt, sollte der Fall eintreten, dass alles gut läuft, könnten wir theoretisch dieses Jahr doch noch irgendwo Urlaub machen. Und siehe da, alles ist wie am Schnürchen gelaufen. Nach über einem Jahr Abstinenz saß ich wieder in einem Flieger und habe die Worte gehört, die ich so wahnsinnig gerne höre. „Meine Damen und Herren, herzlich willkommen am Board des Fluges nach … “  Die Freude war natürlich riesen groß. Aber nicht nur, weil ich endlich wieder fliegen konnte, sondern dass ich endlich, ENDLICH nach Hause konnte. Nach knapp sieben Jahren wurde es auch echt Zeit. 😉In den vielen Jahren ist einiges passiert und hat sich verändert, sodass ich zu dem Schluss gekommen bin, nie wieder mir so viel Zeit zu lassen um meine Familie zu sehen.

In Lemberg angekommen, mussten wir noch ewig bei der Passkontrolle warten. So sehr ich meine Heimat auch liebe aber so manchmal kann man gewisse Sachen einfach nicht verstehen. Leicht genervt war ich davon schon, denn draußen erwartete uns bereits mein Onkel. Mein Onkel ist, wie ein Bruder für mich, den ich niemals hatte. Wir sind gemeinsam aufgewachsen, er hat mich in die Discos mitgenommen als ich nicht durfte, hat mich gelehrt mich zu verteidigen und war immer für mich da.  Auch wenn nur telefonisch in den vergangenen Jahren. Der gesamte Tag bestand nur aus Glücksgefühlen. Da unsere Reise nach Lemberg 2020 damals geplatzt ist und ich noch nie in Lemberg war (und dies ist eine wunderschöne, historische Stadt), machten wir eine knackige Autotour durch die Stadt. Die Neugier ist bei mir geweckt. Ich komme definitiv wieder. Zudem sind wir gerade pünktlich zum orthodoxen Osterfest angekommen. Überall vor den Kirchen waren Leute mit ihrem Körbchen und haben die Osterkuchen heiligen lassen. Ich liebe das ukrainische Osterfest. Meine Familie ist immer nachts in die Kirche zur Predigt gegangen. Zu dieser Zeit ist es einfach noch viel schöner. Die Menschen versammeln sich draußen vor der Kirche, ein Meer aus brennenden Kerzen ist zu sehen, das Kirchenchor stimmt an, alle singen mit und zum Ende der Predigt in den Morgengrauen läuten die Kirchenglocken, um die frohe Botschaft zu verkünden. Das sind meine Kindheitserinnerungen an mein kirchliches Lieblingsfest.

Um kurz zu sagen, endlich war ich zuhause! Von Lemberg bis in meine Heimatstadt fährt man knapp zwei Stunden. Am unserem Haus angekommen, begrüßte uns unsere Oma und führte uns natürlich, wohin auch sonst, zum Tisch. 🙂 Fünft Tage lang konnte ich das richtig geile ukrainische Essen genießen. Mein Gott, ich war im Paradies. Pelmeni, Wareniki, Schaschlik, geräucherter Fisch, Hühnersuppe, Herring … Ja, es ist super fettig, aber ich LIEBE es! Ehrlicherweise bin ich auch ein wenig fülliger zurück gekommen. Außerdem haben wir ein neues Familienmitlied. Lucky, ein Hund, welcher meiner Oma im Winter zugelaufen ist und sie es nicht über ihr Herz gebracht hatte ihn in die eiserne Kälte zu verscheuchen. Also blieb er einfach da und genießt das Leben in vollen Zügen. Ich bin sehr froh über diese Entscheidung, denn solch einen Hund hatten wir noch nie. Wir hatten immer große Hunde, Rottweiler, Deutsche Schäferhunde … dieses Mal ist es ein kleiner, aufgedrehter aber sehr liebenswerter Schoßhund. Das Lustige und total Niedliche ist, dass er andauernd nießt. Zudem schläft einfach mal auf seinem Rücken und streckt alle Vier von sich in die Höhe. Ist das nicht einfach super goldig? Ich kenne das von meiner Katze, Mathilde, dass sie so sehr verkuschelt ist. Aber dass ein Hund so gerne kuschelt, war mir bisher unbekannt. Abends vor dem TV haben wir unsere Schmusestunden alle gemeinsam absolvieren müssen, damit der Hund zufrieden war.  Zufälligerweise war auch meine älteste Freundin in der Stadt. Ich kann mich nicht erinnern, wann und wie wir uns kennen gelernt hatten. Nach fast 30 Jahren hielten wir jedoch Kontakt. Als wir uns dann in Person nun nach so langer Zeit wieder getroffen hatten, schien es so als ob keine Zeit vergangen ist. Der gesamte Tag hatte uns nicht ausgereicht, um uns auszuquatschen.    Die Stadt hat sich ganz schön verändert als wir das letzte Mal da waren. Im positiven Sinne. Es ist überall sauber, ordentlich. Es ist schon durchaus zu erkennen, dass sich die Leute ein besseres Leben wünschen und es auch erreichen wollen.  Viele neue Läden, Restaurants, schöne neue  Häuser. Es wird! Langsam aber sicher wird es. Wegen Corona haben wir darauf verzichtet in Restaurants essen zu gehen (leider), haben uns aber ein paar Mal, was nach Hause bestellt. Auch das ist neu. Früh gab es das schlicht und einfach nicht. Apropos, Corona. Das wohl top aktuellste Thema weltweit. In der Ukraine sieht die Lage ein wenig anders aus. Es ist alles offen, vom Einzelhandel, Gastronomie bis zum Hotel. Man muss aber in geschlossenen Räumen eine Maske tragen. Man hat mit dem Virus zu leben gelernt!

Fünf Tage sind einfach zu wenig, um alles und alle zu besuchen. So gern wäre ich an den See Svitjaz , in die Karpaten oder auch nach Lemberg, Iwano-Frankiwsk, Polissja gefahren. In dieser kurzen Zeit musste nur das Wichtigste bzw. das Notwendigste erledigt werden. Kaum hatte man „Hallo!“ gesagt, war es an der Zeit die schmerzlichen Worte „Auf Wiedersehen!“ auszusprechen. Die Zeit um meine alte Schule, die Wohnung, wo ich aufgewachsen bin und den Hof, in welchem wir als Kinder Schlammkuchen gebacken, aus Decken Tippies gebaut und Lagerfeuer gemacht haben, die Innenstadt und ein paar andere Orte, die mir viel bedeuten zu besuchen, habe ich mir dann doch genommen. Ich hatte eine tolle Kindheit und erinnere mich sehr gerne daran.  Manchmal sind Tränen hochgekommen und man hat sich schon gefragt, warum es so kommen musste, dass wir unsere Heimat verlassen mussten/ haben.

Normalerweise, wenn ich nach Novovolynsk gekommen war, hatte ich kaum Zeit mir meiner Familie an einem Tisch zu sitzen, geschweige denn den ganzen Tag zu verbringen.  Ständig war ich mit meinen Freunden irgendwo unterwegs und immer auf dem Sprung. Auch das hat sich verändert. Viele sind weggezogen in große Städte oder ins Ausland und kommen nur noch selten zu Besuch. Oder haben bereits eine eigene Familie und haben schlicht und einfach keine Zeit mehr. Nur noch wenige Klassenkameraden wohnen immer noch in der Stadt. So hatte ich viel Zeit gehabt mit meiner Family mich zu unterhalten und uns persönlich über die vergangenen Jahre auszusprechen. Nachholbedarf gab es ja.So habe ich auch endlich meinen Cousin, welcher mein Patenkind ist und meine kleine Cousine richtig kennen zu lernen. Da wir uns so selten gesehen hatten, war die Kleine extrem schüchtern und ist am Anfang vor mir weg gerannt. Kein großes Wunder, denn sie hatte mich bisher nur ein Mal ganz kurz live gesehen. Mit der Zeit hat sich an mich gewöhnt und die Erzählungen sprudelte aus ihr. Mein Patenkind ist bisschen älter und nicht mehr so zurückhaltend und ebenfalls sehr redegewandt und ziemlich schlagfertig. Das muss man ihm lassen. Ich bin schon fast 30 und bin noch lange nicht so schlagfertig, wie er.

Durch die Möglichkeit „so viel“ Zeit mit den engen Verwandten verbracht zu haben, habe ich gemerkt, wie unglaublich ich sie vermisst hatte. Jeder, der seine Family um sich hat, sollte sich ganz einfach nur glücklich schätzen, sie so oft es geht und jederzeit  sehen zu können.  Da ich während der Pandemie zu backen lieben gelernt hatte, wollte ich noch was ganz Bestimmtes mit nach Deutschland nehmen. Meine Oma hat noch ein Büchlein mit den Backrezepten meiner Uroma. Ihre Backkünste waren der reinste Wahnsinn. Dieses wollte ich unbedingt mitnehmen. Da meine Oma nicht ganz back-begeistert ist, warum sollte es irgendwo rumliegen, wenn ich ein Andenken an meine Uroma hier habe und zudem auch noch meine Backkünste verbessern bzw. erweitern könnte. Als wir bereits auf dem Rückweg zum Flughafen waren, auf halber Strecke fiel es mir ein, dass ich nun wirklich das Buch vergessen hatte mitzunehmen. Oma meinte dann nur, Gott sei Dank es sei ein Grund, dass ich um so schneller und früher wieder nach Hause komme 🙂 Und irgendwo hat sie ja schon recht, denn ich will die Rezepte unbedingt haben. Die gesamte Family, die ja jetzt mittlerweile nicht mehr so groß ist, hat sich jeden Abend zusammengefunden um gemeinsam  zum Abend zu essen. An unserem vorletzten Abend haben wir beschlossen etwas Besonderes zu machen. Also legte Oma das Fleisch für Schaschlik ein. Wir grillten alle zusammen, mein Onkel und ich gönnten uns zum Grillen ein schön gekühltes Bier, die Sonne strahlte, wir lachten alle zusammen. Es war unglaublich! Fast so wie ganz früher! Da fragt man sich schon, warum geht das Gute immer so wahnsinnig schnell vorbei und das Schlechte zieht sich, gefühlt eine Ewigkeit in die Länge. Immer wenn ich aus der Ukraine zurück nach Deutschland kam, verfiel ich für ein paar Tage in so eine leichte Depriphase. Aber dieses Mal waren es ein paar Tage mehr. Vielleicht ein es zu lang her und kurz der Aufenthalt Vorort war. Keine Ahnung, aber ich war eine Zeit lang ziemlich melancholisch, nostalgisch und nicht so ganz auf der Höhe. Und die Quarantäne hat mir natürlich dann auch noch den Rest gegeben.  Wenn der kurze Aufenthalt tatsächlich die Ursache war, ist bereits ein Plan in Erarbeitung um das zu überprüfen. Es ist noch überhaupt nichts sicher aber eventuell schon ganz bald, gehe ich wieder zurück …. Stay tuned!!!